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Johann Baptist Strobl:
Brief an Friedrich Nicolai



 
besonders hochzuehrender Herr!
Ich bin auf einige Tage mit Herrn Profeßor Westenrieder verreist gewesen, und dieß ist die Ursache, warum ich Ihren Brief nicht sogleich habe beantworten können. Ich thue es aber heute desto eifriger.
 
     Ich habe mir alle Mühe gegeben, einige unserer Andachtszetteln zusammenzubringen, und ich bin so glücklich gewesen, ein gedrucktes Verzeichnüß von der münchnerisch: Andachtsordnung zu erhalten, welches ich Ihnen hiermit nebst anderen hiezu gehörigen Sachen beylege.
 
     Ich werde Ihnen auch durch die Post eine Predicht von P. Gruber Exjesuiten überschiken, die er am Vorabend des neuen Jahres halten wird. Sie wird nicht gedruckt, ich habe aber ein so glückliches Gedächtnüß, und denn, wenn ich nach Haus komme, gleich niederschreiben kan. Die Predigt wird gewiß wieder von kezerischen Büchern handeln, folglich kan so was zu Ihrem Zweck dienen.
 
     Ich bitte mir nur die einzige Gefälligkeit von Ihnen schriftlich aus, daß Sie mich in keinem Fall verrathen; So bald ich dieses weis, so werde ich ihnen verschiedene Anekdoten liefern. Mich freut es von ganzem Herzen, wenn ich Ihnen durch irgend eine Art dienen kan. Es reut mich nur, daß ich eine so kurze Zeit das Vergnügen gehabt habe, um Sie und Ihren Hoffnungsvollen Herrn Sohn seyn zu können.
 
     Wenn Sie über Bayern was schreiben wollen, so haben sie hinlänglich Stof, und ich will mein möglichstes dazu beytragen. Sie haben sich im geringsten nichts zu scheuen, denn alles, was von Berlin kommt, hat Ansehn. Nur geben Sie mit meinen Briefen behutsam um.
 
     Ich soll Ihnen auch den Zustand unsrer Litteratur schildern. Wie soll ich das anfangen, ohne Ihnen weder zuviel, noch zu wenig zu sagen? Die hiesige Akademie der Wissenschaften, welche Max III. auf die Vorstellungen des jezt zu Neuburg exulierenden von Lori gestiftet, aber selbst niemals besucht hatte, wurde zufälliger Weise nüzlich, da die Rede über die Hexerey Anlaß zu Streittigkeiten, und mithin zu einigem Nachdenken gab. Osterwalds Schriften haben das meiste gethan. Bey Aufhebung der Jesuiten mußte man eine Schulreform vornehmen, deren Begebenheiten in der Schulgeschichte von einem unsrer wackersten Männer verfaßt worden sind. Ich wünschte sehr, daß sie selbe lesen möchten. Karl Theodor hat den reichsten, vielleicht den reichsten Erziehungsfond in ganz Europa, mit welchem man mehr als ein Land hätte aufklären und bilden können, wie bekannt ist, den Malthesern geschenkt, und alle niedere gymnastischen und höhere Schulen den Mönchen übergeben. Hierüber vergießt gegenwärtig ieder halbdenkende Kopf bittere Thränen, und ich darf nichts hinzusezen, um Ihnen die gerechte Ursache derselben begreiflich zu machen. Etwas so gar Unphilosophisches hat man bey diesen Zeiten nicht mehr erwartet, 6. Millionen wegzuschenken.
 
     Noch sind Litteratur, Wissenschaften und Aufklärung nicht im geringsten eine Sache der Regierung. Je weiter hinauf, desto weniger wird gelesen, und es giebt da Leute, die nicht wissen würden, was im gelehrten Deutschland vorgeht, wenn sie nicht zuweilen zufällig lärmen hörten, daß es so verdamliche Bücher gebe. Sie hören dahier in keiner Gesellschaft von Schriften, Gelehrten u.s.w. sprechen, höchstens hört man von einer Komödie, die gespielet worden. Der Adel hält prächtige Tafel. spielet .p. und liest noch so wenig, daß, wenn etwa ein auffallendes Schauspiel gegeben wird, viele schicken, selbes zu leihen nehmen. Tausend Gulden für eine Kutsche hinzugeben, achten sie nicht, aber einen Gulden für ein Buch zu verwenden, tragen sie Bedenken. Ausnähme, aber nur wenige, giebt es indeß doch, aber was sollen etliche Tropfen Weins in einem Eimer trüben Wassers?
 
     Die Meisten, die etwas zu sagen haben, kommen noch von den ehemaligen Jesuitenschulen, und ihre Regel scheint, alles in Ruhe lassen, es wird schon gehen, es ging immer noch brav. Höchstens ist ihre Sache die Juristerey, deren Erbärmlichkeit Sie sich leicht vorstellen können, alles klagt, was Geld hat, proceßirt, macht Repliken und Dupliken.
 
     Wir haben gegenwärtig keine Staatistik, keine Naturgeschichte innländischer Produkte, haben es während einem dreißigjährigen Frieden so weit gebracht, daß fast in allen Dörfern verlaßne Häuser sind u.s.w. Wie es mit unsrer Landwirthschaft stehe, läßt sich aus den nothwendigen Känntnüßen des Forst und Jagdwesens, und besonders aus den baierischen Beyträgen abnehmen. Wann Sie etwas die Absicht haben sollten, wie ich nicht zweifle, uns die Wohlthat zu erweisen, und über unsre Lage was zu schreiben: so lesen Sie das Fragment über die Erziehung, item Skizze unsrer Aufklätung im Jahr 1780. in den Beyträgen.
 
     Indem ich Sie ersuche, meinem Vaterlande die derbe Wahrheit zu sagen, so glaube ich nichts minder, als unpatriotisch zu seyn. Es ist kein anders Mittel, es aufzuwecken, als daß man zu scharfen Belehrungen schreitte, und bittere Wahrheiten schriebe.
 
     Die bairischen Beyträge sind noch fast das einzige Buch, das einen Abgang fand. Westenrieder unternahm es nebst seinen Schularbeiten, ohne das geringst voraus gearbeitet zu haben. Sie können sich denken, was das seyn müße, für Leser zu schreiben, die man erst bilden soll, damit sie etwas verdauen können. Aus der beyliegenden Ankündigung werden Sie sehen, was von demselben künftig herauskommt. Ich bitte Sie, in Ihrer allgemeinen Bibliothek Erwähnung zu thun. Lesen sie doch auch den Aninius in den Beyträgen, wo Sie viele gegenwärtige Züge unsrer Lage antreffen werden.
 
     Was uns indeß Ehre macht, ist, daß diejenigen, die bey uns etwas unternehmen, es aus eigner Aufmunterung, die freylich oft wieder kleinmüthig wird, da man der Litterarischen Bemühungen fast gar nicht achtet. Überhaupt wird nichts gelesen, und der Rath bring seine müßigen Stunden mit Spielen, Trinken und Liebshändeln zu. Wenn nur dieses jemand mit Ernst rügen wollte.
 
     Die blutigen gräßlichen Schauspiele, welche wir seit kurzem in unserer Hauptstadt sahen, da man rüstige Männer in einer Thierhaut eingenäht, hinausschleifte, räderte, nakend heraufzog, und viertheilte, die vielen Galgen in unserem Land laßen auf die Philosophie der Verfassung schließen.
 
     Ich glaube, daß unter Max III. etliche tausend gerichtet worden sind. Und noch wird keine menschliche Anstalt entgegen gemacht. Das Volck sieht solchen Schauspielen zu, als wenn es ein Fest wäre, es ist auch beynahe das einzige, was man ihm giebt. Man hat auf neue zur Sicherheit des Landes ein neues Korps errichtet - statt daß man mit verfänglichen Mitteln dahin hätte bedacht seyn sollen, den Bauern, der auf diese Extremitäten fällt, zu erziehen, ihm aus seiner Noth zu helfen. Verlassene Bauernhöfe in Dörfern, Rauberrotten im Lande, der Drittheil des Landes nicht angebaut, dieser Drittheil voll Klöster, die Mönche in den Schulen, auf den ersten Predigtstühlen p. wie gefällt ihnen das?
 
     Mir deucht, Sie hätten nun mehr einen mehr als einen hinlänglichen Begrif von dem Zustande der Aufklärung. Was gelesen wird, sind des Exjesuiten Schönberg Schriften. Vorbothen des neuen Heidenthums, Nachtrag zu den Vorbothen, elende Predigten von Kapuzinern p:p.
 
     Der Mönchsgeist ruht noch auf unserm Körper, der nur zuweilen einen Fuß bewegt, den jemand gekizelt hat. Aus dem beyliegenden Buch können Sie sehen, wie die Andachten des Volks beschaffen sind; In den zwoen hiesigen Pfarren predigen gegenwärtig Kapuziner, in der neuen Garnisonspfarr der Jesuit Gruber: und in den vielen Klöstern ohnehin die Mönche, p. Das Censurcollegium wurde vor etlichen Jahren von gutdenkenden Männern aus dem Grunde errichtet, damit gute Schriftsteller nicht der Gefahr ausgesezt wurden, wegen jedem kühnern Saz beym Kopf genommen zu werden. Dieß Kollegium war sehr nachsichtigt, hat aber gegenwärtig keine Auctorität, wie ich mit Büchern, welche ohngeachtet ihrer wiederholten Approbation confiscirt blieben, erfahren habe. Die hiesige große Bibliothek wurde jüngst mit einem Mönch von Polling besezt, welchen der Prälat nach Paris und Rom reisen ließ. Sie sehen aus diesem wieder, daß man den Weltpriesterstand, dem man vor allem Mittel anbieten sollte, damit er die Wissenschaften betreiben möge, überall ausschließt. Und das ist wieder eine Probe von schrecklicher Dummheit. Aus dem beyliegenden kleinen Piece können sie den Zustand der Weltpriester in München ersehen.
 
     Machen Sie doch, daß die beygelegte Uebersezung des jungen Preysing gerühmt, und dabey gesagt werde, wie nothwendig und rühmlich es sey, daß Cavaliere einen Geschmak an solchen Büchern erhalten. Es ließen sich bey dieser Gelegenheit überaus viele strenge Wahrheiten sagen, besonders über hiesigen Adel. Graf Preysing ist der erste und einzige Cavalier, der seine zwey Söhne auf eine Luterische Universität nach Leipzig geschiket hat.
 
     Her Zimmermann, der die Reise mit Cook mitgemacht hat, ist in Starn-bergersee kurfürstl. Leibschifmeister geworden. Er logirt gegenwärtig bey mir, und wir sind eben beschäftigt eine vollständig neue Reisebeschreibung zu verfertigen, die vieles Aufsehen machen wird.
 
     Von H. Profeßor Westenrieder, Kollmann und Dufresne sollte ich Ihnen tausen Empfehlungen schreiben.
 
     Die Bücher und Sachen, wovon ich in diesem Briefe Erwähnung gethan, schicke ich Ihnen durch den nächsten Postwagen.
 
     Auf Rechnung lege ich Ihnen bey. 12. Otto von Wittelspach ein vaterländisches Trauerspiel, ich glaube sicherlich, daß es in Berlin aufgeführt wird, weil es Hr. Secretär Bertram vom Author selbsten verlanget und auch erhalten hat.
 
     Leztlich habe ich auch einige Todesurtheile samt Kupfer und Moralrede über einige Maleficanten, die dieses Jahr einzig und allein in München hingerichtet worden sind, beigelegt; vielleicht haben Sie Gelegenheit über diesen Punkt anderswo einige Anmerkungen zu machen.
 
     Freuen Sie sich nur auf die Predigt, die der Exjesuit Gruber am lezten Tag des Jahrs halten wird; dieß allein giebt eine Schrift ab, die im ganzen catholischen Deutschland gelesen und aufgekauft wird. Daß Sie Mrs. Braun so viele Gefälligkeiten, wie er mir selbst schrieb, erweisen, dadurch machen Sie mich Ihnen unendlich verbindlich, wollte nur wünschen, daß ich in München auch Gelegenheit hätte, solches zu erwiedern. Schreiben Sie mir bald wieder, ich bin vollkommen zu Ihren Diensten und verbleibe mit aller Hochachtung und Ergebenheit. München den 30: Xber. 1781.
Euer Wohledel.
Ergebener
Joh.Bapt. Strobl
Profeßor und Buchhändler