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Vorrede.
 
Der so günstigen Aufnahme des Publicums hat es diese kleine Schrift zu verdanken, da sie so bald wieder in dieser veränderten Gestalt erscheint. Ich habe diese Gelegenheit so viel möglich genuzt, um manches, so vorher zu unbestimmt ausgedruckt war, näher zu bestimmen, besonders aber diejenigen Einwürfe, welche mir von einigen Herren Recensenten gegen mein System gemacht worden, so viel an mir war, nach meiner Ueberzeugung zu beantworten. Ich kann mich zum vorhinaus überzeugen, daß bey einem solchen Gegenstand, der sich von unserer sinnlichen Denkungsart so weit entfernt, noch allzeit selbst für Denker einige Dunkelheit zuruckbleiben werde. Vielleicht werde ich später hin, durch eigenes reiferes Nachdenken, oder durch neue Einwürfe noch auf manche Stellen aufmerksamer gemacht, die eine nähere Beleuchung verdienen. Dies mag indessen genug seyn, mich, und meine Schrift derselbigen Gewogenheit des Publicums zu empfehlen, welche schon die erste Ausgabe erfahren.
 
     Regenspurg den 30. März
          1 7 8 7.
 
                              Adam Weishaupt.
 


Daß wir selbst ein denkendes Wesen sind, daß wir Begriffe und Vorstellungen haben, daran hat wohl meines Wissens noch niemand gezweifelt. Aber! ob dieses Wesen, welches diese Begriffe, und Vorstellung hat, eine von unserm sichtbaren Körper ganz verschiedene Kraft sey, ob nicht vielmehr der Grund dieses Denkens in dem Bau und Mechanismus dieses Körpers selbst liege, darüber kommen die Meinungen der Menschen schon von den ältesten Zeiten her weniger überein. Man wurde sehr frühzeitig gewahr, daß keine einzige vorstellende Kraft in der ganzen weiten Natur ohne einen thierischen Körper wirklich seye: daß sich iede dieser Vorstellungskräfte auf das allergenaueste nach diesem Körper richte, daß sie sich mit solchem entwikle: daß dieser Körper die Verrichtungen der Seele erleichtere, oder verhindere; man glaubte, in den sogenannten Temperamenten die Gewalt des Körpers sehr anschaulich zu finden; man sah´ endlich, wie mit dem animalischen Leben zugleich alle Verrichtungen der Seele sich mit einemmal endigen, und aufhören; man bemerkte weiter, daß gewiße Theile unseres Körpers vorzüglich geschikt wären, die Eindrüke der äußern Gegenstände aufzunehmen, und zu bewahren. Dazu kam noch, daß man nicht begreifen konnte, wie sich die materielle Natur in einem immateriellen Subject abdrüken, welche Veränderungen in einem Wesen ohne alle Theile sich entwikeln und vorgehen könnten. Zwar konnte man selbst nach dieser Vorstellungsart eben so wenig begreifen, wie sich das Bild des ungeheuern nächtlichen Himmels in dem so kleinen Raum eines Auges zusammen drängen, und abdrücken könne; es blieben immer noch Schwierigkeiten ohne Ende, deren Auflösung weniger befriedigend war. So gerecht und quälend diese Zweifel waren, so beruhigte man sich doch mit dem Nichts erklärenden Gedanken, daß wir mit allen Eigenschaften der Materie noch nicht hinlänglich bekannt wären; man betrachtete von nun an den Körper selbst als den Grund unsrer geistigen Veränderungen, und man verwarf ohne weiteres iede von dem Körper ganz unterschiedene denkende Kraft.
 
     Dieses System ist das System des gröbern Materialismus. Sehr mittelmäßige Verstandeskräfte waren hinreichend, dieses System zu erfinden, so sehr hängt darinn alles an der äußersten Schale: so sehr erscheint daraus, daß die ersten unmittelbaren Eindrüke, ganz allein ohne allem Mitwirken der Vernunft dieses Urtheil bestimmen. Und doch werden wir gewahr, daß sich die Anhänger dieses Systems damit ungemein gefallen, sich darin fühlen, und mit dem Besitz einer ganz vorzüglichen Weisheit schmeicheln, und hervorthun. Diese Weisheit wurde unter den ältern durch die so berufene Epikureische Schule am meisten verbreitet. Unter den neuern haben sie la Mettrie, und der Verfasser des Systeme de la Nature mit vielem Schein der Beredsamkeit erneuert, und unter sinnlichen, seichten, und gemächlichen Denkern haben sie häufige Anhänger, und Bekenner gefunden.
 
     Daß mit dieser Vorstellungsart kein Glaube an die Zukunft und die Fortdauer unser selbst bestehen könne, leuchtet iedem von selbst ein. Es ist eine Folge, welche von keinem wahren Anhänger dieses Systems widersprochen wird. Aber eben dieses Quälende und Unangenehme einer solchen Folge hat verursacht, daß ein anderer ungleich vernünftigerer Theil der Menschen das denkende Principium von unserm sichtbaren Körper sorgfältig unterschieden, und in einer feinern unzerstörbaren Materie, oder Zusammensetzung gesucht hat. Zu dieser Vorstellungsart hatten die älteren Kosmogonien das meiste beigetragen. Die Seelen der Menschen waren nach den Lehren dieser Systeme entweder unmittelbare Ausflüsse der Gottheit, oder sie waren Theile der Weltseele, welche mit gröbern Körpern vereinigt wurden; man unterschied von nun an zwischen Geist, Seele, und Körper; ersterer allein war aus Gott, oder der Weltseele ausgeflossen, wohin er dereinst wieder zurückkehren sollte. Er allein war folglich himmlischen Ursprungs, von einer unvergänglichen Natur, und nur insofern unkörperlich, als er der gröbern Materie entgegen gesetzt wurde. Da man sich selbst Gott nicht weiter unkörperlich dachte, als er aus der feinsten Materie zusammengesetzt war, so konnten auch diese ausgeflossenen Theile keine von ihrer Urquelle verschiedene Natur haben. Diese Lehre war beinahe die allgemeine Lehre der ältesten, nicht bloß der heidnischen Welt. Selbst die Kirchenväter stellten sich die Natur Gottes, der Engel, und der menschlichen Seelen als körperlich vor. Dem ganzen Alterthum samt allen seinen Religionen und Schulen der Weltweisen war der heutige geläuterte Begrif einer reinen Immaterialität bis auf Descartes und Leibnizens Zeiten unbekannt und fremd. Nach Verschiedenheit dieser Schulen und Systeme wurde nun die Seele bald das feinste ätherischste Feuer, bald ein Hauch, bald eine Entelechie, dann eine Zahl, eine Harmonie. Das Bild eines Hauchs, dessen sich selbst die Schrift Gen. I. Vers 2. so wie im zweiten Kapitel Vers 7. bedient scheint schon darum eines der ältesten und vorzüglichsten gewesen zu seyn, weil es sich bis auf unsere Zeiten in den meisten ältern und neuern Sprachen erhalten hat. [Pneuma] kommt offenbar vom [pneuo], spiritus von spirare, Anima, und Animus kommen mit einer sehr geringen Abänderung von [Anemos], ventus, Wind. Diese Worte und Ableitungen verrathen sehr deutlich, welche Begriffe die ältere Welt mit solchen verbunden, was sie sich bei den Worten Geist und Seele gedacht habe.
 
     Wenn ich dieses zweite Sistem über die Natur unserer Seele genauer prüfe, so muß ich zwar gestehen, daß es mit der Fortdauer unser selbst besser als das vorhergehende könne vereinigt werden: daß es in den Zeiten, wo die Begriffe von Geist und Materie noch so wenig bestimmt und entwickelt waren, sehr wesentliche Dienste geleistet habe, indem es die Menschen von den Verirrungen des gröbern Materialismus zurük gehalten, und in dem so nutzbaren Glauben an die Zukunft befestiget hat. Doch kann ich nicht läugnen, daß alle Hoffnung von Unsterblichkeit, welches dieses System giebt und erwekt, sich nicht so fast auf der Unvergänglichkeit dieser feinen Materie als auf der sehr willkührlichen und falschen Voraussetzung gründe, daß alle Seelen=Ausflüsse einer unvergänglichen Gottheit seyen; daß also alle diese Hofnungen mit dieser grundlosen Voraussetzung verschwinden müßten, wenn nicht die Religion sowol als die Vernunft bessere Beweise in Bereitschaft hätten; daß also dieses System den Grund des Materialismus auf keine Art entkräfte, daß es folglich im Grund ganz materialistisch, daß es also mit dem gröbern Materialismus einen und denselbigen Schwierigkeiten unterworfen sey. Ich kann auf keine Art einsehen, warum man, da doch beide Materien Zusammensetzungen sind, von der gröbern Zusammensetzung verneinen wolle, was man ohne Bedenken von einer feinern bejaht. Entweder denkt iede, oder keine Zusammensetzung. Der gröbere Materialismus kann sich ganz derselbigen Gründe bedienen, welche die Denkungskraft des feinern beweisen, so wie einerlei Gegengründe beide Systeme zugleich widerlegen. Mir scheint es sogar, wer von der feinern Materie die Kraft zu denken bejahet, der muß sich außer Stand sehen, diese Kraft von der gröbern zu verneinen. Genug! die Zusammensetzung, die Materie kann denken, darinn kommen beide Systeme überein. Und wie wollten wir beweisen, daß Denken nur eine Eigenschaft der feinern Materie sey? Sollte nicht diese Voraussetzung willkührlich, und nur zu dem Ende gedacht seyn, um die Unsterblichkeit der Seele zu retten, und um dieß zu bewirken, was muß man abermal thun? Man muß die Unzerstörbarkeit einer feinern Materie behaupten, und wo sind die unumstößlichen Beweise dazu?
 
     Diese Schwierigkeiten haben einige Neuere, welchen reine Unkörperlichkeit unbegreiflich war, nicht weniger gefühlt. Sie glaubten zu diesem Ende einen Mittel= oder Ausweg zu finden, wenn sie eine Ausdehnung oder Materie ohne alle Zusammensetzung annehmen würden. - Ich will zuerst diese Meinung untersuchen, und sodann beide oben angeführten System des gröbern und feinern Materialismus nach meinen Kräften widerlegen. Alles hängt von der Frage ab: Giebt es eine Materie, oder Ausdehnung ohne alle Zusammensetzung und Theile?
 
     Ich frage zuerst, wie konnten denkende Menschen auf einen so sonderbaren Einfall verfallen? - Ich vermuthe, der Abscheu vor den Folgen des Materialismus und das Unvermögen eine reine Unkörperlichkeit zu denken, mußten sie dazu verleiten. - Sie wollten dadurch erklären und begreiflicher machen, wie der Körper in die Seele wirke, wie sich in der Seele die materielle Welt abbilde. Kurz! sie wünschten von beiden Systemen das Gute beizubehalten, und die Schwierigkeiten zu entfernen. - Nun frage ich, erreichen wir auf diese Art diesen Zweck? Wird es nun begreiflicher, wie sich die materielle Welt in einer Ausdehnung ohne Theile abbilde und abdrüke? Haben wir nicht vielmehr die Schwierigkeiten vermehrt? Denken wir uns wirklich etwas bei einer Materie, oder Ausdehnung, welche keine Theile hat? Täuschen wir uns hier nicht die mathematischen Begriffe von Ausdehnung und Raum, welche in der Metaphysik so große Verwirrungen verursachen, sobald sie zur Erklärung nicht idealischer, sondern wirklicher Dinge gebraucht werden? Ist dieser Begriff nicht offenbar aus dieser Wissenschaft entlehnt? Wer von allen Menschen hat jemalen eine Materie oder Ausdehnung ohne Theile gesehen, oder empfunden? Und wenn wir sie nicht empfunden haben, wie kommen wir sodann zu diesem so sonderbaren Begriff, dessen Realität in der ganzen Natur kein Mensch jemalen erfahren hat? Warum wenden wir diese Worte Ausdehnung, und Materie, die wir ganz allein von theilbaren Dingen abgesondert haben, auf Gegenstände an, die gar keine Theile haben sollen? Heißt das nicht den Sinn, und die Bedeutung der Worte verändern, sich ohne Noth von allem Sprachgebrauch entfernen, und die Begriffe verwirren? Warum sagen wir nicht lieber geradezu, wir kennen die Natur unserer Seele nicht, wir wissen bloß, daß sie nicht materiell ist. Sagen alle unsere Verdrehungen der Begriffe im Grund nicht eben so viel? - Aber nein! Da tritt der menschliche Stolz, der so gern alles wissen, und entscheiden will, in das Mittel; dieser will durchaus bestimmen, was solche Wesen sind, von welchen wir nichts weiter wissen, als was sie nicht sind, und um etwas zu sagen, nimmt er seine Zuflucht zu einem Ding, das ganz unmöglich ist, wovon wir in der ganzen Natur das Gegentheil sehen; er behauptet, was nicht seyn kann, die Wirklichkeit einer Materie, und Ausdehnung, die keine Theile hat, und glaubt nun heller, als vordem zu sehen.
 
     Aber werden die Vertheidiger dieser Meinung sagen, soll den ein Wesen ohne alle Ausdehnung begreiflicher seyn, als eine Ausdehung ohne alle Theile? denken wir bei ersteren nicht eben so wenig? Ich antworte - wenigstens enthält ein solches Wesen keinen Widerspruch. Es muß wie ich späterhin zeigen werde, Wesen dieser Art geben, weil es zusammengesetzte Wesen giebt; ihr Daseyn ist unläugbar; nur die Art ihres Daseyns; und ihrer Einwirkung ist uns unbekannt und unbegreiflich. Aber eine wirkliche Materie, oder Ausdehnung ohne Theile ist ein Widerspruch in der Sache selbst. Nach dieser Meinung wird von der Seele eine Eigenschaft bejahet, in dem System des reinen Spiritualismus wird sie bloß allein verneint. Ein wahrer Spiritualist behauptet auf keine Art, daß die Seele einfach, oder zusammengesetzt sey: er sagt bloß, daß sie keine Materie, daß sie immateriell sey. "Aber was ist sie sodann?"- Nichts von allem, was wir sehen, oder empfinden "also gar nichts?" - Diese Folgerung ist zu stark. Es kann, und muß noch tausend andere Arten des Daseyns geben, die wir gar nicht kennen: denn wir erkennen und sehen dermal nicht mehr, als unsere Sinne erlauben; aber der Wirkungskreis Gottes und der Natur übertrifft unendlich das Gebiet unserer Sinne. Uns kann es hier schon genug seyn, daß die Seele keine Materie ist. Schon auf dieser Ueberzeugung allein gründen sich die für unsere Tugend so nöthige Aussichten auf unsere Unsterblichkeit und Dauer. - Im Grund scheint also dieser ganze Streit nichts weiter als ein Wortstreit zu seyn. Beyde Theile kommen darinn überein, daß unsere Seele keine Materie von der Art sey, wie wir solche sehen und erkennen: nur der eine will wissen, was sie ist, wo sich der andere eher mit seiner Unwissenheit als mit Träumen und Hypothesen begnügt.
 
     Eins von beiden muß also seyn; die Seele des Menschen muß materiell oder immateriell seyn. Nun kommts auf die Frage an, kann die Materie, oder besser, kann die Zusammensetzung denken? Dieß wollen, und bejahen beide oben angeführte materialistische System, das gröbere, sie wie das feinere. Ich gehe in der Beantwortung auf den Grund der Sache, mit ihm fallen alle Folgen. - Giebt es wirklich eine Materie? Dieß ist, was ich untersuchen soll. Ist sie etwas reelles? Oder drückt dieses Wort nur die Art und das sinnliche Bild aus, unter welchem wir uns die darunter verborgene Kräfte vorstellen, wodurch wir ihr Daseyn erkennen? Was ist denn diese Materie? Ist sie etwas mehr, als ein zusammengesetztes Wesen, als ein Aggregat vieler Theile, als ein Gedanke der Geister, der diese Theile zusammenfaßt?
 
     Es scheint nötig zu seyn, daß ich auf eine einleuchtende Art beweise, daß jede Materie aus sehr vielen kleinsten Theilen bestehe. Davon hängt der Grund unseres Streits ab. Es wird nöthig seyn, die falschen Begriffe, welche sich die Menschen so gewöhnlich von der Materie machen, zu schwächen. Sie unterscheiden noch immer die Form von der Materie; sie denken sich diese beide untrennbare Dinge abgesondert; sie betrachten alle Materie als etwas, das erst unter der Bearbeitung des Schöpfers, oder der Kunst eine bestimmte Form erhalten soll: sie denken sich dabei ein Chaos, einen ursprünglichen abgesonderten Urstoff, von welchem alle Körper nur abgerissene Theile und Modifikationen sind. Auf diese Voraussetzungen gründet sich eine Menge von ältern, und neuen Träumereien. - Also was ist diese Materie?
 
     Ich denke alle Menschen sind zu dem Begriffe der Materie durch die Sinne gekommen, sie haben solchen aus dieser sinnlichen Welt abgesondert, und entnommen. Da aber in dieser Welt alles, was wir gewahr werden, zusammengesetzt ist, so muß alle Materie von derselbigen Natur, sie muß ein sinnliches physisches Ganzes seyn, das aus Theilen besteht. Diese sind die eigentliche, wahre, und letzte Bestandtheile der Materie, diese fassen wir in ein einziges sinnliches Bild, dieses Bild nennen wir Materie. Wer also sagt, daß die Materie denkt, der muß vorher entweder sagen, dieses sinnliche Bild, unsere Vorstellungsart denkt, oder die Theile selbst denken, aus welcher die Materie besteht. - Wenn nun aber diese Theile denken, so kann ich nicht einsehen, was der Materialist dabei gewinnt. Diese Theile können doch nicht ewig untheilbar seyn. Jede Materie muß also aus Theilen bestehen, die keine weitere Theile enthalten, die folglich immateriell sind, und diese allein denken. Der Materialist, kann nicht begreifen, wie ein einziges immaterielles Wesen denke, und er glaubt nun heller zu sehen, wenn er von mehrern dieser Wesen behauptet, was er von keinen einzeln begreifen konnte? - Also denkt nicht die Materie, es denken ihre Theile:
 
     Ich sehe neue Einwürfe vorher. Noch drei Auswege öffnen sich dem Gegner um meine Beweise zu entkräften; er muß entweder behaupten, daß alle Materie in das unendliche theilbar sey, oder er muß annehmen, daß aller Grund des Denkens nicht so fast in den Theilen, als in der Zusammensetzung liege: oder endlich muß er läugnen, daß der letzte Grund aller Wirksamkeit in den immateriellen Theilen der Materie liege, daß diese die einzige wirksamen Kräfte der Natur sind. - Sollte es mir gelingen, jeden dieser Entwürfe gründlich zu widerlegen, so scheint mir der Ungrund des Materialismus eine erwiesene Sache zu seyn.
 
     1) Es giebt keine in das unendliche theilbare Materie.
 
     (...)
 
     2) keine Zusammensetzung kann denken, oder der Grund des Denkens liegt nicht in der Vereinigung einzelner Theile, welche nicht denken.
 
     (...) Ich bin nicht viele. (...)
 
     Dieses Denken ist keine bloße Vorstellung einer andern vorstellenden Kraft: es ist diese Kraft selbst, die uns fähig macht, diese Vorstellungen zu haben; es ist die Kraft, die sich von allen Wesen der ganzen Natur unterscheidet; es ist etwas, das nicht von aussen hinzu kommt, etwas, das inner uns selbst ist. Der Gedanke ich schließt alle subjektive Vielheit aus. Er gedultet keinen Theilnehmer, er unterscheidet sich von allem, was nicht er selbst ist, und nichts ist er selbst, ich, was ausser ihm ist: was viel ist, ist ausser einander, oder es hört auf, viel zu sein.
 
     3) Der Grund aller Wirksamkeit liegt in den Elementen und Kräften, aus welchen jede Materie und jede pyhsische Zusammensetzung besteht.
 
     (...) Dieser Ausdruck, daß die Materie denkt, würde also im Grund nichts weiter heissen; als meine Vorstellung von der Materie denkt. (...)
 
     ..., daß unsere sinnliche Erkenntnis das Innere der Sache selbst seye.
 
     (...) Nur alsdann nimmt der Idealist seine Grundsätze wieder zu Hülfe, wenn er auf Schwierigkeiten stößt, welche über das Gebiet der Sinne sind; wenn er Widersprüche gewahr wird, die auf keine andere Art zu heben sind; als z.B. wenn die Unfehlbarkeit seiner Sinne bezweifelt wird; wenn die Unmöglichkeit auf beyden Seiten einleuchtend ist, und folglich ein drittes vermuthet werden muß; wenn er über Verhältnisse und Lagen z.B. den Zustand der Seele nach dem Tod urtheilen soll, wo ihm das Urtheil der Sinne gänzlich unbrauchbar ist; wenn er das Innere der Kräfte näher untersuchen und bestimmen will, in wie fern diese Eigenschaft und Aeusserung der Kraft einem gegebenen Dinge unter jeder, oder nur unter dieser bestimmten Lage und Form wesentlich sey; wenn die Rede über Wesen höherer Art, oder über die Grundursachen der Dinge ist; wenn er aufgefordert wird, sophistische, oder epikureische Grundsätze zu bestreiten, den Werth der sinnlichen Güter herabzusetzen, den Vorzug der intellektuellen Vergnügungen vor jenen der Sinne zu beweisen, wenn er z.B. theosophische Systeme widerlegen soll, die auf die Wirklichkeit und Verderbnis der Materie ihre ganze Lehre gründen und daraus den Ursprung des Uebels sammt allen sittlichen Verderben ableiten; wenn er die Immaterialität der geistigen Kräfte, und aus solcher die Unsterblichkeit der Seele beweisen soll. (...)
 
     Ich folgere und schließe also daraus: daß diese Erde sowohl, als alle übrigen Theile der Welt an und für sich nicht seyen, was sie uns erscheinen; daß aber mit dem allen unser meistes Wissen auf dieser Voraussetzung gebaut, und insofern irrig sey; daß alle unsere darauf gebauten Begriffe und Erfahrungen auf keine Art in das Innere der Seele führen; daß eben daher das unauflösliche der meisten dahin einschlagenden Aufgaben komme; daß es also der Philosophien so viele und mancherley gebe, als verschiedentlich organisirte Wesen zur Wirklichkeit gelangen; daß die uns bekannten fünf Sinne noch lange nicht die letzten, und einzigen seyen, durch welche man sich die Welt vorstellen kann, durch welche sich uns die inneren Kräften offenbaren; daß also dieser noch weiteren Vorstellungsarten der Welt, die von der unsrigen ganz verschieden sind, noch sehr viele nicht blos möglich, sondern wirklich und nothwendig seyen.
Ich denke, alle diese Schlüße folgen in logischer Ordnung, und sie berechtigen mich, noch weiter zu schließen:
 
[Es folgen ausgewählte Schlüsse / Aphorismen / Thesen, etc.; (FJK)]


1)     Daß es uns unmöglich sey, dermalen schon in das Innere der Wesen einzudringen, die Entstehungsart der Welt und ihrer Grundtheile zu entdecken; daß wir von diesen aus den Gesetzen ihrer gleichförmigen Einwirkung nur so viel erkennen, als unsere gegenwärtige Receptivität gestattet, als wir nöthig haben, unsern physischen und moralischen Zustand zu verbessern. (...)
 
2)     Daß jede Empfindung bey diesem oder bey jenem, gleich, oder verschiedentlich organisirten Wesen im Grund nichts weiter seye, als die Wirkung äusserer Gegenstände, auf so und nicht anders empfängliche Wesen.
 
3)     Daß mit jeder noch so unmerkbaren Abänderung dieser Organisation auch nothwendig eine eben so wahre, ihrer Ursach proportionirte Veränderung in dem Erkenntnißvermögen der vorstellenden und empfindenden Kräfte vorgehen müsse. (...)
 
4)     Daß jeder Mensch kraft seiner natürlichen oder künstlichen, vermehrten oder verminderten, erhöhten oder geschwächten Sinne allzeit recht empfinde; daß keiner bey aller auch noch so großer Verschiedenheit hintergangen werde, wenn er gleich anders als alle übrige Menschen empfinde; denn er sieht die Gegenstände, wie es seine Organisation oder Receptivität leidet, und andere sehen sie ebenfalls nach der ihnen eigenen Art. Daß es also falsch sey, daß uns unsere Sinne betrügen oder hintergehen. (...)
 
5)     Daß wir also andere nur insofern eines Mangels und Irrthums im Empfinden beschuldigen, weil wir als Parthey den Richter machen; weil wir schon als ausgemacht voraussetzen, daß unsere Art zu empfinden die einzige und wahre sey; weil ihre Art zu sehen und zu empfinden nicht die unsrige, nicht die allgemeine ist; so wie es auch ihre Organisation nicht ist; weil wir nicht bedenken, daß verschiedene Ursachen verschiedene Wirkungen hervorbringen.
 
6)     Daß es aber auch noch ausser uns Wesen und Kräfte gebe, die uns zwar in sich unbekannt sind, doch aber durch ihre Wirkung erscheinen, und nach Verschiedenheit der Receptivität des empfindenden Subjekts sich verschiedentlich offenbaren. Daß also die Gegenstände ausser uns, auf keine Art unsere bloßen Gedanken seyen. (...)
 
7)     Daß Scheinursachen auch Scheinwirkungen hervorbringen; so wie die von den meisten anerkannte Illusion und Richtigkeit der Farben nicht hindert, daß sich nicht ganze Künste und Wissenschaften als z.B. die Chemie, Färberkunst und Mahlerey damit beschäftigen, Farben hervorzubringen und gehörig zu vertheilen und anzuwenden.
 
8)     Daß Körper, Materie und Ausdehnung als solche betrachtet, Erscheinungen seyen, hinter welchen uns diese unbekannte Naturkräfte fühlbar werden; daß wir uns vielleicht nur eine ungeheure Menge dieser im verborgnen auf uns wirkenden Kräfte als ein Ganzes unter dem einzigen Bild denken und vorstellen; daß wir sodann dieses Bild mit dem Namen eines Körpers, Materie oder Ausdehnung belegen. (...)
 
9)     Daß man nach diesen Grundsätzen die Wahrheit oder Falschheit derjenigen Lehren prüfen und beurtheilen könne, welche die Materie als tod, formlos, als den Ursprung des Uebels, den Körper als den Kerker der Seele betrachten, die wegen den Urheber der Materie in Verlegenheit sind, oder diese mit Gott gleich ewig betrachten. (...)
 
10)     Daß selbst unsere Körper so wie unsere Organisation als solche auch nur Erscheinungen seyen; daß diese Wörter und Redensarten und vor sich nichts weiter ausdrücken, als die uns eben so unbekannte Receptivität unserer Vorstellungskraft; die Fähigkeit, die Wirkungen dieser ausser uns auf uns wirkenden unbekannten Kräfte uns so, und nicht anders auf diese bestimmte Art vorzustellen; die Lage, welche unser denkendes Wesen unter den übrigen Welttheilen behauptet, durch welche es bestimmt wird, und seine Einwirkungen erhält; die Gegenstände ausser ihm, welche ihm die nächste sind.
 
11)     Daß derselbige Gegenstand, wenn er auf tausendd verschiedne Organisationen wirkt, ob er gleich mir, der ich so organisirt bin, nur unter dieser Gestalt z.B. eines Baums erscheint, doch für die übrige Organisationen nach Verschiedenheit ihrer Natur in tausendfach verschiedner Gestalt erscheinen müsse; für Wesen von ganz verschiednem Sinnenbau sogar als etwas erscheinen müsse, wovon wir dermalen noch gar keinen Begriff haben; daß der Baum nicht für alle Wesen ein Baum oder ein jedes anderes Bild aus dieser Organisation sey; daß also jeder Gegenstand die Anlage habe, auf tausenderley Art zu erscheinen, so wie unser Angesicht in einen Plan= Hohl= oder Convexspiegel freilich noch immer als Angesicht, (weil es noch immer ein Spiegel ist, in welchen wir uns beschauen) aber doch nach Verschiedenheit dieses Spiegels bald ordentlich, bald lang, bald breit, bald groß, bald klein, bald umgekehrt erscheint. Diese verschiedne Organisationen sind im figürlichen Ausdruck diese Plan= Hohl= oder Convexspiegel. (...)
 
12)     Daß dasjenige, was beständig und allgemein allen, oder doch den meisten Menschen, auf eine bestimmte Art erscheint, ob es im Grund gleich nur eine bloße Erscheinung ist, für uns eben so viel, als Wirklichkeit, folglich eine beständige gleichförmige Wirkung dieser unbekannten Kräften sey; daß aber diese Verschiedenheit der uns bekannten Organisationen ihre teleologische Gründe, ihren sehr großen Nutzen und Zweck habe; daß sie uns diene, die höhere, oder jene Art von Wahrheit zu finden, welche nicht nur eine, sondern durch mehrere der uns bekannten Organisationen bestättigt wird.
 
13)     Daß also unser meistes Wissen, so wie auch unsere Sprache sich auf der Voraussetzung gründe: daß diese Welt samt ihren Theilen wirklich in sich selbst seyen, was sie uns erscheinen; daß hiemit der Sprachgebrauch hierin wenig oder gar nichts entscheide; daß unsere Philosophie größten Theils Philosophie der Erscheinungen sey, daß diese Lehre nothwendig dem lächerlichsten Mißverstand müsse ausgesetzt bleiben, so lang die Sprache nicht dazu eingerichtet ist.
 
14)     Daß es also auch für alle Wesen von ganz verschiedener Organisation, oder auch von merklich veränderter Receptivität, eine eigene Physik, Moral, Philosophie, Gesetzgebung, vielleicht für gewisse Wesen nicht von dem allem, und statt dessen andere uns unbekannte, höhere, dieser neuern Organisation angemessene Wissenschaften gebe; wenn anders Wissenschaften sich blos für Menschen und auf keine Art für solche Organisationen schicken.
 
15)     Daß also jede Organisation ihre individuelle, ihre nur allein eigene Wahrheit habe, die, wenn sie gleich nicht höchste allgemeine Wahrheit, doch nicht eben darum Falschheit, oder Irrthum ist, weil sich solche durch andere Organisationen nicht bestätigt; daß alle unsre gemeine Wahrheit sich nur auf diese von unsern Sinnen abgezogene Prämissen gründe, und in so fern Wahrheit sey. Aendert aber die Organen: so fällt das Eigene, Individuelle hinweg, ein neues Individuelles tritt an die Stelle des vorhergehenden, die Erfahrungen und Prämissen sind auf einmal geändert. - Und dann nichts von dem Allen, was vordem war: - eine andere Welt, andere Gegensätnde, ein anderes System, eine andere Wahrheit, für uns in dieser Gestalt gar nicht denkbar und begreiflich. - Vielleicht Unmöglichkeiten möglich, vielleicht nur sehr wenig von dem allen, was wir wissen, was wir jetzt sind, - dermalen unfähig Erfahrungen darüber zu machen. - Mangel an Worten und Sprache. - Oder was nutzen Worte, wo die Begriffe fehlen? wo die Worte nur ausdrücken, was wir jetzt sind und erfahren? Also gar nicht auf das können angewendet werden, was wir erst unter andern Formen erfahren sollen? - Sagt dem Blindgebohrnen nicht, daß es eine Sonne gebe, welche leuchtet, (denn die erwärmende Sonne kennt er durch sein Gefühl) und er hat sodann so wenig, als überhaupt von einem Licht einigen Begriff davon. Aber öffnet ihm sodann auf einmahl auf einmahl und das erstemal die Augen, welche neue erstaunliche Scne betäubt ihn sodann? Dieser Blinde ist unser Bild. In uns, so wie in ihm, schlummert die Fähigkeit in dieser Weltform eine neue Welt, noch unendlich verborgene Schätze und Reichthümer der unerschöpflichen Natur, so wie ihres unendlichen Urhebers zu sehen und zu erkennen. Aber noch sind wir blind; noch liegt eine tiefe Nacht auf unsern Sinnen, auf den dazu erforderlichen Organen. Ob es also nicht auch bey uns wirklich diese Art von Blindheit giebt, die, ob sie uns gleich aus Mangel weiterer Aussichten Nachrichten und Erfahrungen unmerklich ist, doch andern Wesen nicht unbemerkt bleibt? Ob uns der Tod nicht einst diesen Staar sticht, um sodann auf einmal in eine neue, uns unbekannte Welt zu schauen? Ob nicht schon das, was uns bey diesen Sinnen, in dieser Gestalt, Fäulnis des Körpers scheint, dieses Schauen selbst ist? Ob nicht vielleicht das, was hier für uns bloßer toder Körper ist, das, was unter dieser Hülle verborgen liegt, schon wirklich dieses höhere, obgleich für uns unmerkbare Leben lebt?
 
16)     Also mit jedem neuen Organ der Vorhang hinweggenommen, der bisher für diese Sinne undurchdringliche Schleyer aufgehoben. - zugleich damit eine neue Welt in der vorhergehenden Welt - so zu sagen, in einer einzigen Welt tausend und tausend Welten für tausend und tausend verschiedene Zuschauer. - Alle diese Welten ineinander gegründet, im engsten Zusammenhang - jede derselben durch die vorhergehende vorbereitet und herbeygeführt - eins, und doch dabey tausend und tausend - und in jeder dieser tausend und tausend Welten, deren jede beynahe unendlich ist, neue, vollkommmeste Größe, Ordnung und Harmonie, immer wachsende Vollkommenheit. - Die Natur in neuer grösserer Pracht, Gott in neuer Herrlichkeit - die erstaunlichste Mannigfaltigkeit in der möglichsten Einheit! - Welcher Begriff von der Hoheit Gottes, von der Grösse der Natur ist mit diesem zu vergleichen? Welcher höhere ist gedenkbar? - und dieser Begriff ist Folge des Idealismus.
 
17)     Also in sich keine Sonne, Mond, Sterne, Menschen, Thiere, Erde, Feuer, Luft, Wasser. Nur für uns all dieses, und selbst für uns nur so lang, als wir so organisirt sind, als wir diese Lage in der Welt, diese Receptivität haben. Selbst alle mathematischen Wissenschaften haben nur in so lang und in so fern Gewißheit und Dauer, weil alle Ausdehnung und Grössen Erscheinungen sind, weil sie diese Ausdehnung und Grössen als wirklich voraussetzen.(...)
 
18)     Selbst alle bisher unauflösliche Schwierigkeiten über Zeit und Raum, über die Theilbarkeit der Materie, über Cohäsion der Körper, über Bewegung und Ruh, über leeren und vollen Raum, über das Einfache und Zusammengesetzte sind Streitigkeiten über Erscheinungen. - In und an sich selbst ist nichts zusammengesetzt, nichts einfach: nur in dieser Gestalt und nach unserer dermalen darauf gebauten Logik giebt es hierin kein Mittel. Die unbekannte auf uns wirkenden Kräfte sind nicht zusammengesetzt, aber sie sind eben darum nicht nothwendig einfach. - Sie sind Materie, sie sind immateriell: dies ist alles, was wir wissen. Der Begriff des Einfachen ist ein sinnlicher menschlicher Begriff: wir erhalten ihn, indem wir bey jeder Theilung zusammengesetzter Dinge endlich auf solche Theile stossen, wo unsere Kräfte nicht mehr zureichen, um sie noch weiter zu theilen. Der Begriff des Einfachen ist im Grund ein bejahender Begriff, denn er sagt, was eine Sache sey: aber der Begriff des immateriellen ist durchaus verneinend.
 
19)     Eben so verhält es sich mit dem Streit von der Ewigkeit oder Anfang, so wie mit der unendlichen Ausdehnung oder Schranken der Welt. - Die Welt als solche mit dieser Form sinnlicher Gegenstände ist Erscheinung; sie hat also in dieser Gestalt mit dieser unsrer Organisation angefangen, mit dieser Receptivität gewisser Wesen, mit der Fähigkeit, uns die Theile der Welt auf diese uns eigene Art vorzustellen. Mit dem ersten Menschen ist im eigentlichen Verstand diese Weltform entstanden. Und für jeden Menschen entsteht nach seinem Tod die künftige Welt, so bald er die Fähigkeit erhält, sich die Welt auf die diesem Zustand eigene Art vorzustellen. Für den Blinden entsteht die Sonne, und die ganze Gesichtswelt, so bald diese seine ursprüngliche Blindheit gehoben wird. Aber die Kräfte, die wir uns unter diesen gegenwärtigen sinnlichen Bildern vorstellen, waren unendlich lange vorher gewesen, ehe sie uns unter dem Phänomenon dieser Welt erschienen sind. Um eine Sonne zu sehen, sich als Sonne vorzustellen, mußte es Wesen mit Augen geben, in welchen die Fähigkeit war, sich diese Naturkräfte unter diesem Bild vorzustellen, und ein Wesen mit etwas mehr als Augen, erkennt in dem, was wir Sonne nennen, etwas das wir nicht sagen können, weil uns die Sinne mangeln, um solches zu empfinden, etwas, das wir erst empfinden werden, wenn wir dereinst diese Sinne erhalten, das erst alsdenn für uns entstehen soll. Kurz, mit unsrer dermahligen Receptivität ist zugleich diese Gestalt der Erde und der Welt entstanden.
 
20)     Vielleicht, so wie jedem Blindgebohrnen die Nachricht von der Wirklichkeit einer leuchtenden Sonne, Offenbahrung ist, konnte auch insofern alle übrige Offenbahrung anticipirte, avancirte Erkenntniß gewisser, erst unter andern Gestalten begreiflicher, denkbarer Wahrheiten, seyn. Diese Offenbahrung konnte nebst andern Ursachen dem Menschen gegeben seyn, um ihn gegen seine dermalige Erkenntniß mistrauisch zu machen, um seinen Forschungsgeist zu reizen, das geoffenbarte mit dem wirklich erkannten zu vergleichen, eine Vereinigung zu versuchen, die Unmöglichkeit dieser Vereinigung einsehen zu machen, und ihn eben dadurch noch weitere Wahrheiten einer höhern Art vermuthen zu lassen; um den Zusammenhang zwischen dieser neuen künftigen und der gegenwärtigen zu gründen, und hier unten schon anzufangen.
 
21)     Welche trostreiche Aussicht für die Fortdauer unsers Ichs! Sterben heißt nach diesen Begriffen und Voraussetzungen aufhören, so zu sehen, zu erkennen, zu schliessen, Menschen, Thiere, Bäume zu sehen. Sterben heißt sodann nicht gänzlich aufhören, ohne alle Vorstellungen zu seyn. Es heißt vielmehr, eine andere neue Organisation erhalten, sein Receptivität verändern, diese nämlichen Gegenstände auf eine Art sehen, erkennen, die Raupenhaut abstreifen, dem, was ausser uns ist, die Masque abnehmen, näher in das Innere der Kräfte, obgleich auch dann noch sehr unvollständig, eindringen. Sterben heißt gebohren werden, und gebohren werden heißt für eine ältere Form sterben; unter einer Gestalt aufhören, um unter einer anderen zu wirken, zu erscheinen. - Nach dem Tod wird also freylich der Mensch nicht mehr denken, (dies kann man den Materialisten sehr gern zugeben) denn denken setzt den Gebrauch dieser Sinne, dieser unsrer dermaligen Vorstellungsart der Welt voraus. Denken ist also wie das Phänomenon Mensch. Aber dann wird die vorstellende Kraft nicht gänzlich aufhören. Unser Geist, unser Ich, das was bishero in uns gedacht, wird eine höhere Modifikation erhalten, die mit unserm neuen Zustand eben so wesentlich verbunden ist, als es das Denken mit dieser Organisation war. Es wird diese Modifikation kein Denken seyn, aber in diesem Mangel aller Erfahrungen und Worte haben wir keinen andern Ausdruck. Wir werden also aufhören uns die Welt auf diese Art, die Kräfte, welche z.B. die Gestalt eines Baums für uns erscheinen machen, unter der Gestalt dieses Baums, so wie aller anderer uns schon bekannten Form zu sehen und vorzustellen; wir werden aber nicht aufhören, auf eine andere ganz verschiedene Art thätig zu seyn. Der Tod ist der Uebergang von einer Art die Gegenstände zu sehen, zu einer andern ganz neuen. Es ist die Einweihung in höhere Weltkenntnisse; es ist das stuffenweise Fortrücken zu einer höhern Einsicht in das Innere der Wesen. Es wird nöthig seyn, öfter und mehrmalen zu sterben, seine Formen oft zu verändern, um diese Einsicht immer höher, heller, richtiger und allgemeiner zu erhalten.
 
22)     Auch unsre verstorbenen vorausgegangenen Freunde, ihr uns so wehrtes Ich, ist für uns nicht verlohren, so wie wir es dermahlen schon für sie nicht sind. Ich Ich bleibt allzeit nocht ein Theil dieses Weltalls, das ausser uns ist und wirkt, so weit alles ohne Ausnahme aufeinander wirkt, obwohl diesen Sinnen nicht fühlbar, oder von uns erkennbar auf uns. Wir erscheinen ihnen zwar nicht auf diese Art unter dieser, aber doch allzeit auf eine ihrer neuen Organisation eigene Gestalten; so wird sie im Gegentheil, wenn sie uns sichtbar werden sollen, uns nie unter den uns bekannten Formen vernehmlich werden können. Hier wäre sogar für jeden, der Lust dazu hat, Gelegenheit, der Lehre von der Seelenwanderung einen natürlichern philosophischern Sinn zu geben, als sie selbst bey ihren Anhängern niemals gehabt. - Diese verstorbene erinnern sich unsrer nicht. Denn Erinnern ist nur für Menschen. Aber, obwohl wir nicht wissen, wie und was der Actus ist, wodurch Verstorbene sich diejenigen vorstellen, die in dieser Hülle von uns so organisirten Menchen genannt werden, so sind wir doch allzeit ein Gegenstand ihrer Verstellungen. Tausend verschiedentlich organisirte werden mich, der ich nun allen, die um mich sind, so und nicht anders erscheine, unter tausendfacher Form und Gestalt, nach Verschiedenheit ihrer Receptivität erkennen: warum sollte also in Rücksicht der Verstorbenen eine Ausnahme seyn? (...)
 
23)     Erscheint uns seiner Zeit, nach der allen Menschen bevorstehenden großen Metamorphose, wo die gegenwärtige Welt verschwindet, die neue Weltform, diese neue, unbekannte, bisher nur vermuthete Land; werden wir die dieser neuen Weltform eigene Organisation unsrer vorausgegangenen Freunde ebenfalls erhalten: warum sollen wir sie sodann nicht wieder finden, da wir selbst in dieser Mittelzeit nicht für sie verloren waren?
 
24)     Wenn das, was wir in dieser Gestalt von den Wesen ausser uns, von dem Phänomenon Erde und Welt, erfahren haben, aller Täuschung und Erscheinung ungeachtet, schon so vortreflich, ordentlich und harmonisch war, in der entsetzlichsten Mannigfaltigkeit ordentlich und harmonisch war: wie viel Ursache haben wir nicht, uns auf den Tod, auf diese noch weit vollkommnere Einsicht in das Innere einer noch viel bessern Welt freuen, wenn wir hier den Grund so gelegt, daß die Folgen einer bessern Zukunft sich ungehindert anschließen! Wird hier nicht der Tod zum Eingang in ein bessers Leben, zum Triumph unsrer Natur? Wie groß muß diese Scene seyn, wenn es Geistern, die an so viel Schönheit, Ordnung und Vollkommenheit schon hienieden gewöhnt sind, beynahe unmöglich wird, noch etwas größeres zu denken? Und wie unendlich groß muß derjenige seyn, der seinen Geschöpfen solche Seeligkeit bestimmt hat! Sollte man nicht glauben, daß die Vorsicht eben darum dem Menschen seinen künftigen Zustand verborgen, weil die Gewißheit einer solchen unsrer noch wartenden Herrlichkeit uns dieses Leben unerträglich machen, und uns reizen würde, den Ausgang aus solchem zu beschleunigen, in der thörichten Absicht, an dieser Seeligkeit einen um so frühern Antheil zu haben?
 
25)     Wenn denn, wie bisher erwiesen worden, in dieser einzig sichtbaren Welt, noch tausend und tausend Welten enthalten sind, für tausend und tausend verschiedene Zuschauer; wenn aber weiters jedes Wesen bloß allein Zuschauer seiner ihm angemessenen Welt wäre, von keiner andern Kenntnisse hätte; wenn nicht das nämliche Subject, durch Abänderung seiner bisherigen Organisation, Zuschauer einer weitern Welt werden, seine dermahlige Form überleben, sich in eine höhere Sphäre hinaufarbeiten, von einer Weltform in die andere schauen, Zeuge von der wundervollen Verbindung dieser auseinander entstehenden, in einander sich gründenden Formen seyn könnte: wozu wäre sodann dieser entsetzlíche Vorrath und Reichthum von Welten? Wozu auf dieser Erde so viele Welttheile, Königreiche, Länder, Städte und Dörfer, wenn jeder bestimmt wäre, nicht über seinen Flecken zu schreiten? (...)
 
26)     Wenn also diese in einander enthaltene verschiedene Weltformen, diese unsere so verschiedene Weltformen, diese unsere so verschiedene sich nach und nach auseinander entwickelnde Organisationen, dieses dazu führende, wechselsweis auf einander folgende Leben und Sterben auch unter sich selbst verbunden seyn muß, weil alles verbunden ist, ja vielmehr erst durch dieses Abzwecken zu einem gemeinschaftlichen Zweck ihren Werth erhalten; wenn dieses Abzwecken zu einem gemeinschaftlichen Zweck ihren Wert erhalten; wenn dieses Abzwecken erkannt, diese Weltenreihe, wie sie auseinander entsteht, die Folge von jeder vorhergehenden ist, und in dieser sich gründet und durch sie vorbereitet wird, überschaut werden kann: so mag damit gar wohl die große Pythagoreische Reise bestehen. Es wäre sogar nothwendig, wenn nicht sogleich nach Ablegung dieser Form dieser Zusammenhang für uns sichtbar würde, daß wenigstens, wenn nach dem Ablauf jedes neuen Weltlebens die Resultate unsrer Erfahrungen und Beobachtungen durch den stärkern Eindruck des neuen Lebens verdunkelt würden, solche nur schlummern; aber nachdem diese Reise durch eine unbestimmbare Weltenzahl beschlossen worden, daß sodann alles Ressorts und Behältnisse der gesammelten Welterfahrungen auf einmal losspringen, um sich nach ihrer ganzen Reihe vor unserm denkenden Ich darstellen. - Diese Reise wäre sodann nicht von einem Gestirn zum andern, von einer schon bekannten Gestalt und Organisation in eine ebenso bekannte von Thieren in Menschen, von Menschen in Thiere. Wie wäre noch allgemeiner und erstaunlicher. Sie gienge von einem Universum und Weltall zu einem andern von dem vorhergehenden gänzlich verschiedenen, von einer schon bekannten zu einer ganz verschiedenen Organisation, von welcher dermalen unser Verstand keinen Begriff hat, und unsre Sprache keinen Ausdruck. (...)
 
27)     Durch eben diesen stärkern Eindruck des neuen Lebens wird auch begreiflich, warum wir uns dermalen unsers vor diesem unsern gegenwärtigen Menschenleben vorausgegangenen Zustandes gar nicht mehr erinnern; ob wir gleich dadurch so viel gewonnen, daß wir durch, vielleicht zum erstenmal in dieser Stuffe erhaltenen, Gebrauch unsrer Vernunft, durch die hier erhaltene Fähigkeit, analogische Schlüsse zu machen, mit großer Zuversicht auf diesen vorausgegangenen Zustand schließen, wenn uns gleich die Art und Weise, sammt der nähern Beschaffenheit, durch die stärkere Wirkung des gegenwärtigen Lebens verdunkelt sind, bis sie dereinst, durch was für eins uns bishero unbekanntes Mittel wieder erwachen. Vielleicht aber auch schreibt sich diese Unwissenheit über unsern vorhergegangenen Zustand davon her, daß wir auf der großen Leiter, die wir zu unsrer Vollkommenheit hinaufsteigen, zum erstenmal auf diejenige Stuffe gelangt sind, mit welcher Vernunft und die Fähigkeit, sich seines vorigen Zustands zu erinnern, verbunden sind: eine Fähigkeit, die sich erst mit dem Anfang der kommenden Stuffe äussern wird.
 
28)     Wenn aber nun alles, was wir empfinden, erkennen, nicht in das Innere der Sache selbst führt, sondern bloßes Resultat der Einwirkung von Dingen ausser uns, auf so und nicht anderst organisirte Wesen ist: so muß es nothwendig eine zweyfache Wahrheit geben: eine, welche anzeigt, was an der Sache selbst ist, das Objektive, Absolute der Wesen, der Kräfte ausser uns. Diese Wahrheit heißt sodann absolute Wahrheit. Eine andere, welche Wirkung anzeigt, welche dieses innere Objective, bey diesen so organisirten Wesen, gemäß ihrer Receptivität hervorbringt: und diese letztere Wahrheit im allgemeinen zuerst untersuchen, und dann auf ihre Abtheilungen hinübergehen. (...)
 
29)     (...)
 
30)     (...)
 
31)     (...)
 
32)     Die(..) ontologische Wahrheit ist diejenige, in welcher sowohl die allgemeinen, als jene besondern, natürlichen oder künstlichen Organisationen übereinkommen; die durch keine allgemeine oder besondere Organisation, durch keine Gelbsucht, Teleskop oder Mikroskop, durch keinen Plan= Hohl= oder Convex=Spiegel anders erkannt wird. So hoch und gewiß sie aber auch in Rücksicht auf die beyden übrigen relativen Wahrheiten ist: so bleibt sie doch mit dem allen noch relativ, ist noch lange nicht absolut; und es ist sehr möglich, daß manche Sätze davon durch Entdeckung einer neuen Organisation nicht bestätigt werden, sondern als Illusion erscheinen. Es ist aber auch möglich, daß gewisse Sätze davon durch alle möglichen Organisationen die Probe halten werden, bey einigen hat es sogar den Anschein der Gewißheit, die aber nicht zur Evidenz gelangen kann, ehe alle Erfahrungen vollendet sind. Diese Wahrheit ist also mit dem allen nur so lang wahr, und höhere Wahrheit, als die Sachen und Erfahrungen auch für die Zukunft in dem Stand bleiben werden, worin sie dermahlen sind; sie sind noch immer menschliches Wissen, obgleich höheres Wissen des Menschen. Der Tod allein kann und muß zeigen, wie viel davon die Probe halten werde, welche neue Eigenschaften der Dinge wir dadurch entdecken werden, und selbst dieses wird sodann vielleicht noch lange nicht das letzte seyn. Um viele noch verborgene Eigenschaften der Dinge, neue Manifestationen dieser unsichtbaren Kräfte kennen zu lernen, wird es nötig seyn, oft zu sterben. Jeder Tod ist der Eintritt in eine neue Welt, in ein neues Leben. (...)
 
33)     Von allen relativen Wahrheiten sind ontologische die höchsten. Sie sind die Grundlage unsers Wissens, das Rectificatorium unsrer Sinne und aller unsrer Erscheinungen, das untrügliche Kennzeichen, ob etwas nur bloße Erscheinung sey, der Leitfaden, an welchen wir uns bey dieser Ungewißheit zu halten haben, der feste Grund, auf welchem wir stehen, der Ort von dem wir ausgehen. Durch diese allein sind wir im Stand, sogar in die Vorwelt und etwas näher in die Zukunft zu dringen. Diese sind die Anfangsgründe unserer Erkenntniß, aus ihnen folgern wir weiter und weiter, an ihnen prüfen und vergleichen wir unsre spätern Erfahrungen, auf diese wenden wir sie an, und finden neue Grundsätze, um neue Entdeckungen zu machen: und so ordnen sich ganze Systeme, die wir alle am Ende auf diese Grundsätze zurückführen.
 
34)     Welche sind nun aber diese Grundsätze? Unter solche darf kein Satz aufgenommen werden, der nicht durch alle uns bekannte Organisationen bestättigt wird, oder logische Folge eines solchen allgemein bestättigten Grundsatzes ist. (...)
 
35)     (...) Alle Begriffe, alle Wahrheiten, welche z.B. ohne den Gebrauch des Gesichts nicht können gedacht oder erhalten werden, die sich am Ende dahin auflösen, sind relativ; sie sind bloß für Wesen, denen die Vorsicht diesen Sinn zugedacht und gegeben. (...)
 
36)     Aber so groß und erhaben auch immer diese ontologischen Wahrheiten sind; so sehr auch die Fähigkeit, solche zu sammeln und einzusehen, von der höhern Würde unsrer Natur zeigt: so unfähig bleiben wir doch, das Innere der Sache selbst, oder die absolute Wahrheit einzusehen. - Absolute Wahrheit ist das, was, an und für sich, an der Sache selbst ist. Sie ist diese unsichtbare Kraft, die uns durch ihre Wirkungen erscheint, auf uns verschiedentlich organisirte Wesen verschiedentlich wirkt. Sie ist nicht für diese Sinne, Gestalt, für diese Weltform, oder für Menschen. Sie kann niemahls geändert werden. Diese Kraft bleibt Kraft, wirkt allzeit, wirkt auf verschiedene Subjecte auf verschiedene Art, so wie sie es leiden, ihrer Receptivität gemäß, und wird eben dadurch der Grund und die Quelle aller Erscheinungen und unsrer relativen Wahrheit. - Dieß ist alles, was wir von ihr wissen.
 
37)     Absolute Wahrheit ist für Gott, und für Gott ganz allein. Gott erkennt die Kräfte und das Wesen der Dinge. Creaturen urtheilen und schließen nach den Wirkungen dieser Kräfte, nach der Art, wie sie ihnen erscheinen, wie sie sich ihnen offenbaren; sie schließen von da aus auf den Grund und die Beschaffenheit der verborgenen Kraft, auf die Wirklichkeit derselben. Gott erkennt die Handlungen der Menschen nicht als solche: oder er müßte dazu uns ähnliche Sinne und Körper haben. Er kennt sie aber als Wirkungen dieser ihm allein anschaubaren Kräfte, die Menschen so erscheinen, und von ihnen nach ihrer Sprache und Art so genennt werden. An sich, also auch für Gott, giebt es keinen Raum, Zeit, Bewegung, Körper, Ausdehnung, so wie es offenbar für ihn keine Hitze und Kälte, Licht und Finsterniß, keine Schönheit und Häßlichkeit giebt. Das Unbegreifliche seiner Erkenntnißart, anbey die Nothwendigkeit, mit Menschen über Gott nach ihrem Fassungsvermögen zu sprechen, verbunden mit der Armuth unsrer Sprachen, verursachen sehr häufig, daß wir in den Fehler des Anthropomorphismus verfallen. Dadurch schaffen wir sodann die Unendlichkeit zur Endlichkeit um.
 
38)     Aber wie gelangt der Idealist zur Erkenntniß eines Gottes? - Ich denke weit leichter, als in jedem anderen System. (...)
 
39)     Und nun die Anwendung auf die Moral, auf diese Königin aller Wissenschaften.- Welchen Grad von Gewißheit haben ihre Grundsätze? (...) Sind sie absolut oder relativ? und wie groß ist ihre Relativität? Wie kann Tugend mit diesem System bestehen? ist sie nicht vielmehr ein leerer Name, ein Blendwerk für diese Gestalt? - Nach den obigen Voraussetzungen wird es keinem meiner Leser bedenklich fallen, sie ebenfalls unter die relativen Wahrheiten zu rechnen; aber vielleicht nähern sich von allen Grundsätzen keine mehr der absoluten Wahrheit, als die Grundsätze der Moral. Sie gründen sich mehr auf die innere als äussere Empfindung, auf die angenehmen oder widrigen Eindrücke, die ich erfahre. Die Beweise von der Relativität der moralischen Grundsätze, so wie von der menschlichen Tugend scheinen mir folgende zu sein:
1) Unter allen Wesen, die wir kennen, ist der Mensch das einzige sittliche Wesen. (...)
2) Nicht einmahl alle Menschen sind sittliche Wesen. (...)
3) Tugend ist Vortreflichkeit, Vollkommenheit der Natur, bey jedem gegebenen Wesen. Jedes Wesen hat also seine ihm eigene Tugend. (...)
 
40)     Diese Tugend ist zwar relativ, weil sie nur für Menschen ist; aber der Idealismus hebt sie nicht auf. Denn mit Aenderung ihrer Natur geht nur das eigene dieser Natur verlohren; das Generische, die Vollkommenheit der Natur bleibt, und diese richtet sich nach der kommenden Gestalt, wird mit dieser verändert, und wird zur neuen Vollkommenheit einer neuen Form, die nun erst erscheint. Tugend bleibt immer, und nur die Art tugendhaft zu seyn, ist der Veränderung unterworfen. Der Mensch soll nach dem Tod werden, was der Vorsicht gefällt; er hat und behält doch allezeit eine, obschon veränderte, Natur. Diese ist einer eigenen, correspondirenden Vollkommenheit fähig, und diese ist sodann seine Tugend, so bald sie von ihm erreicht wird. Sie wird sogar, statt seiner vorigen menschlichen, eine höhere Tugend, wenn seine Natur einen Zuwachs von Vollkommenheit erhält. Der Mensch hört also nach dem System des Idealismus nicht auf, tugendhaft zu seyn; er verändert und verwechselt nur seine Tugend und Pflichten gegen andere, in dem Maaß, als er seine Organisation verändert, von welcher seine vorige Natur eine Folge, so wie seine vorige Tugend war. Es mag seyn, daß mit dieser Abänderung manche Pflichten hinwegfallen (denn wer wird ferner die Pflicht zur Mäßigkeit im Genuß der Speisen erfüllen sollen, wenn die neue Organisation für keine Speisen gemacht ist?) Aber diese Pflichten waren sodann Folgen der vorhergehenden Organisation, Mittel um unangenehme Eindrücke auf eine so empfindende Natur zu entfernen; an deren Stelle tretten nun andere, uns unbekannte, die abermahls eben so natürliche Folgen dieser uns unbekannten Organisation sind, die eben so zweckmäßige Mittel sind, die neuen widrigen Eindrücke der Gegenstände ausser uns auf unsre veränderte Empfänglichkeit zu schwächen und zu verhindern. Oder wer wird ferner Pflichten gegen eine Frau in einem Zustand haben, wo kein Ehestand gedenkbar ist? Pflichten gegen Kinder, wo keine Zeugung statt findet? - (...)
 
41)     Die Gegenstände ausser uns mögen also an sich oder für andere Wesen seyn, was sie wollen; für uns, so lang wir diese Empfänglichkeit haben, sind sie nicht weniger, als wirkliche, reelle Dinge. Die ersten Gründe unsrer Sittlichkeit liegen nach obigem in der angenehmen oder unangenehmen Einwirkung äusserer Gegenstände auf uns so empfängliche Wesen, in der Beziehung auf diese Einrichtung unsrer Natur. So lang diese Natur dieselbige ist, (und diese hebt der Idealismus nicht auf) so bleiben auch alle Gründe der Sittlichkeit und Tugend. Selbst diese Natur kann sich niemahls so sehr ändern, daß nicht allzeit Vervollkommnung ihr Zweck und Bestimmung sey, so verschieden auch die Wege sind, um nach Verschiedenheit der Organisation dazu zu gelangen. Tugend bleibt Tugend unter allen Gestalten, denn sie ist Vervollkommnung seiner Natur. Jede ist derselben fähig. Aus der Verschiedenheit dieser Naturen entsteht die Verschiedenheit der Tugend. Und die Tugend einer höhern Natur ist darum keine schlechtere Tugend, weil sie nicht Tugend des Menschen ist; so wie die Tugend des Menschen nicht dadurch verliert, daß sie nicht zugleich die Tugend niederer Wesen ist. Alles ist in und auf seine Art vollkommen und gut.
 
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