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CAMILLE UND IHR SPIEGELBILD

Robert Linhart: (alias Godard)   Das letzte Mal haben wir darüber geredet, daß, als du dich ausgezogen hast, oder gerade vorhin, als du dich auszogst, du dich manchmal im Spiegel siehst.
Camille:   Ja.
Robert Linhart:   Und wer war das, den du sahst?
Camille:   Mein Bild.
Robert Linhart:   Dein Bild. Und dein Bild, bist du das oder ist es jemand anderer?
Camille:   Das bin ich.
Robert Linhart:   Und dieses ich, das du siehst, hat das auch eine Existenz?
Camille:   Ja, weil ich es bin, der mich in dem Spiegel dort betrachtet.
Robert Linhart:   Ja, aber das Bild, hat das auch eine Existenz?
Camille:   Ja.
Robert Linhart:   Das ist, als ob du zwei Existenzen hättest?
Camille:   Vielleicht.
Robert Linhart:   Und das letzte Mal sagtest du, daß du nur eine einzige habest, und dann, daß das Bild keine Existenz habe. Daß du nicht doppelt seist.
Camille:   Aber das da, das ist nicht doppelt.
Robert Linhart:   Es ist nicht doppelt? Aber das andere gleicht dir dennoch aufs Haar.
Camille:   Ja.
Robert Linhart:   Und wenn es zweimal die gleiche Sache ist, sagt man dann nicht, daß es ein Doppel ist?
Camille:   Doch, aber ... wenn es keinen Spiegel gäbe, wäre ich nicht doppelt.
Robert Linhart:   Aber es gibt einen.
Camille:   Ja, aber ich bin trotzdem nicht doppelt.
Robert Linhart:   Aber manchmal gibt es Spiegel, die nicht so gut sind. Deine Mutter zum Beispiel sieht dich dann nicht.
Camille:   Ja.
Robert Linhart:   Aber sie weiß, daß du existierst.
Camille:   Ja.
Robert Linhart:   Warum? Ist es, weil sie ein Bild von dir in ihrem Kopf hat, so wie ein Spiegel?
Camille:   Nein.
Robert Linhart:   Also für deine Mutter existierst du nicht in diesem Moment?
Camille:   Doch, aber es ist kein Spiegel.
Robert Linhart:   Nein, es ist kein Spiegel, aber es ist trotzdem eine Existenz.
Camille:   Nein.
Robert Linhart:   Also bist du doch wohl doppelt; du bist doch sowohl dort, als auch vielleicht bei deiner Mutter. Und vielleicht mit mir oder mit einem Haufen Leute zusammen, oder du bist mehr als doppelt, du bist dreifach.
Camille:   Aber wenn man hinsieht, bin ich ganz allein.
Robert Linhart:   Würdest du eher sagen: ein Bild von dir, oder dein Bild, wenn du dich in einem Spiegel siehst, oder wenn du Fotos ansiehst?
Camille:   Es ist mein Bild, es ist ...
Robert Linhart:   Aber würdest du eher sagen: ein Bild von dir, oder dein Bild?
Camille:   Mein Bild.
Robert Linhart:   Und würdest du auch sagen, daß ein Bild mit dir ist? Würdest du nicht das Wort <mit> gebrauchen?
Camille:   Nein.
Robert Linhart:   Gut. Daß ein Bild von dir, denkst du, daß das keine Existenz hat, in Bezug zu dir. Du, du hast eine, aber nicht dein Bild.
Camille:   Doch, aber wenn ich mich im Spiegel betrachte, bin ich im Spiegel, das ist nicht jemand, der existiert.
Robert Linhart:   Das ist nicht jemand, der existiert?
Camille:   Doch, doch, aber im Spiegel ...
Robert Linhart:   Im Spiegel, das existiert nicht.
Camille:   Nein.
Robert Linhart:   Aber zum Beispiel: die Leute, die dich in diesem Moment im Fernsehen sehen, sie werden ein Bild von einem kleinen Mädchen sehen. Glaubst du, daß, von diesem Bild des kleinen Mädchens, sie denken werden, daß es ein wirkliches kleines Mädchen ist oder daß es ein kleines Mädchen ist, das keine Existenz hat?
Camille:   Ein wirkliches.
Robert Linhart:   Ein wirkliches? Und doch, sie werden dich nicht in Wirklichkeit sehen, sie werden ein Bild sehen.
Camille:   Ja.
Robert Linhart:   Also hat dieses Bild Existenz, da du mit ihnen einverstanden bist, daß, wenn sie dein Bild sehen, sie sagen werden: das ist ein wirkliches kleines Mädchen; und doch, sie werden dich nicht berühren können, aber denken, daß das ein wirkliches kleines Mädchen ist. Ist es so, daß das Bild ein Objekt ist wie ein Bett oder etwas anderes, ein bißchen?
Sprecher:   Sie bewegt sich fast nicht, ein wenig erschlagen von ihrer Tagesarbeit, und er fährt fort, sie zu betrachten. Im Gegensatz'zu dem, was man sich einbilden mag, glaube ich nicht,'daß er ein Bild von ihr erhalten will, noch einen Ton. Ganz einfach, er läßt ein Signal los, und er erwartet die Stimme dessen, was passiert, wenn das Signal sie durchquert, sie, wenn sie dieses Signal reflektiert. Oft ist es nicht das, was sie durchquert.
Jean-Luc Godard: aus France Tour Détour Deux Enfants, Premier Mouvement.