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BERECHNUNGEN  (1953)

§ 13

Also ausführlich : in den Wissenschaften hat man sich bereits, wenn auch widerwillig und oft genug noch heute kopfschüttelnd, in Jahrhunderten endlich gewöhnt, die »reine« von der »angewandten« zu trennen. Hat eingesehen, daß rundherum verbohrte Pioniere auf schmalen Einmannpfaden in die Wildnis der Welt eindringen müssen : selbst wenn der lange Weg mitten in einen Sumpf führte, weiß man jetzt wenigstens, daß da einer ist ! Der »Höhere Mathematiker« hat in seinem Fach keinerlei Verbindung mehr zum »Volk«; der »einfache Mann« steht ihm wie ein Neger gegenüber. Dennoch ist die Arbeit des Professors unerläßlich; denn seine Schüler, die Techniker, die »Angewandten«, bauen daraus Brücken und Atombomben.
     Man lasse doch endlich dem Wortwissenschaftler die gleiche Gerechtigkeit widerfahren ! Und teile sie getrost ein in die »Angewandten« mit Breitenwirkung, und die »Reinen« Experimentatoren ! Es würde sogleich Alles so einfach ! : die Ersteren schrieben für die »Leser«, »das Volk« — die Letzteren für sich untereinander, und ihre evtl. Schüler, die »Angewandten« !
     Allerdings ist Eines noch zu sagen : man besolde von Staats wegen die »Reinen« dann auch, etwa ebenso wie die Universitätsprofessoren; es werden wenig genug sein. — Wie lange mag es dauern, ehe sich die hier ausgesprochene Erkenntnis Bahn gebrochen hat ? Lange sicher. Deshalb : wenn »das Volk« eine Differentialgleichung sieht, erschrickt es des Todes und ehrt das verrückte Unbegreifliche; diesen Vorzug hat auch eine Opernpartitur. Aber Worte ? Buchstaben ? Beherrscht sie nicht Jeder ? ! Hat doch Jeder selbst Lesen und Schreiben gelernt; ausführlich in der Schule ! Kann also auch urteilen, he ? ? ! ! —

§ 14

So seht Ihr aus ! !

* * * * *

Dies also mein Credo gegen alle Buchstabenmänner und greisen Variantensucher, mit ihren Büscheln von Stinkmorcheln in den verkrüppelten Händen : (...) Müde vom Durchwandern öder Letternwüsten, voll leerer Hirngeburten, in anmaaßendsten Wortnebeln; überdrüssig ästhetischer Süßler wie grammatischer Wässerer; entschloß ich mich: Alles, was je schrieb, in Liebe und Haß, als immerfort mitlebend zu behandeln! — — —

(Arno Schmidt: „Vorspiel")