zum Inhaltsverzeichnis
Kapitel 4 :

WAS IST POESIE?

Dichtung ist heute ein lebensgefährliches beginnen, die schreckschüsse der dadaisten sind noch nicht verhallt, und eine furchtbare wahrheit steigt herauf, ein vers von erheiternder pracht und großer faszination kann morgen das todesurteil seines dichters sein.
(Rainer M. Gerhardt)

Der Ausschnitt bestimmt die Einstellung im wortursprünglichsten Sinne, legt den Blickwinkel fest, unter dem die Wirklichkeit gesehen werden soll. Der Dichter ist ununterbrochen dabei, seine Moral zu verbreiten, unters Volk zu bringen. — Was ihm wichtig ist stellt er dar in seiner Komposition...
... und nie wird das Ganze sichtbar... immer wieder nur: FRAGMENTE.

kein Bemühen strebt nach Einheit

Zusammenhänge werden vermieden

Verstehen isoliert den Text und läßt ihn unverbindlich werden ...

die angehäuften / zusammengetragenen Schichten müssen mühselig wieder abgetragen werden ...

was wird   f r e i   gelegt ???

wohin geht der Blick ???

es geht um die Details

das letzte Geheimnis wird immer unsichtbar bleiben für neugierige Augen ...

hier ist es anders: der ZündFunke wird mitgeliefert — die Inspiration wird zur Schau gestellt ...

... die Poesie wird geopfert ...

. . . im Anfang war die Pose und sie war künstlich und hat uns (zeitweilig) beeindruckt, bis wir den Durchblick gewannen und sie durchschauten . . .

. . . was steckt dahinter und was ist es, das uns auch weiterhin fasziniert . . . ?

ist es Stil? — Ist es Manier?

künstlichkeit, Natur, Schönheit?

ist das die "reine" Poesie : der menschliche KunstKörper?


Von nichts wimmelt unsere Zeit so sehr als von Ästhetikern. Selten wird ein junger Mensch sein Honorar für ästhetische Vorlesungen richtig erlegen, ohne dasselbe nach wenigen Monaten vom Publikum wieder einzufordern für etwas ähnliches Gedrucktes; ja manchen tragen schon mit diesem jenes ab.
Es ist sehr leicht, mit einigen abgerissenen Kunsturteilen ein Kunstwerk zu begleiten, d.h. aus dessen reichem gestirnten Himmel sich Sterne zu beliebigen Bildern der Einteilung zusammenzulesen. Etwas anderes aber als eine Rezension ist eine Ästhetik, obgleich jedes Urteil den Schein einer eignen hinterhaltigen geben will.
(...)
Die rechte Ästhetik wird daher nur einst von einem, der Dichter und Philosoph zugleich zu sein vermag, geschrieben werden; es wird eine angewandte für den Philosophen geben, und eine angewandtere für den Künstler.
(...)
Man kann eigentlich nichts real definieren als eine Definition selber; und eine falsche würde in diesem Falle soviel vom Gegenstande als eine wahre lehren. Das Wesen der dichterischen Darstellung ist wie alles Leben nur durch eine zweite darzustellen; mit Farben kann man nicht das Licht abmalen, das sie selber erst entstehen lässet. (...) Will man aber eine wörtliche kurze [Definition]: so ist die alte aristotelische, welche das Wesen der Poesie in einer schönen (geistigen) Nachahmung der Natur bestehen lässet, darum verneinend die beste, weil sie zwei extreme ausschließet, nämlich den poetischen Nihilismus und den Materialismus. Bejahend aber wird sie erst durch nähere Bestimmung, was eine schöne oder geistige Nachahmung eigentlich sei.
(Jean Paul: Vorschule der Ästhetik)
xxx
LektüreListe
---
#
HvKleist: Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Reden
#
JWvGoethe: Einfache Nachahmung der Natur, Manier, Stil
#
RMGerhardt: Die Mär von der Musa Nihilistica
#
KPhMoritz: Zur Ästhetik
#
ASchmidt: Berechnungen
#
»Zitate zum Thema«
#
»Filmkritik«
#
JLGodard - Fröhliche Wissenschaft
xxx
xxx

POESIE IST die Oberfläche der Schönheit — ihr Wesen ist in mir. Poesie ist die nackte Oberfläche der Schönheit (meinetwegen auch im biblischen Sinn: nackt = schamlos = grenzenlos offen = unverborgen). Aber was ist da nicht alles wegzuräumen; welche „falschen Lichter" werden auf das „Objekt" geworfen? Wer wirft die Lichter? mit welcher Absicht und mit welcher Berechtigung?
 

Poesie als „schamloses Treiben"  (= Offenheit aller Themen, Mittel, Formen)
 

Die Oberfläche ist das Wesentliche, das Zentrum — dahinter ist nichts (hinter der Zeit ist auch nichts, zumindest nicht für mich)
 

Warum sind die Abbildungen keine Poesie(?) : weil sie mehr verhüllen als offenbaren
 

Was ist die Offenbarung (= Aufklärung) wert?
 

Was ist „schön"?