Es scheint nicht überflüssig zu sein, genau anzuzeigen, was wir
uns bei diesen Worten denken, welche wir öfters brauchen werden. Denn
wenn man sich gleich auch derselben schon lange in Schriften bedient, wenn
sie gleich durch theoretische Schriften bestimmt zu sein scheinen so braucht
denn doch jeder sie meistens in einem eignen Sinne und denkt sich mehr
oder weniger dabei, je schärfer oder schwächer er den Begriff
gefaßt hat, der dadurch ausgedrückt werden soll.
Einfache Nachahmung der Natur
Wenn ein Künstler, bei dem man das natürliche
Talent voraussetzen muß, in der frühsten Zeit, nachdem er nur
einigermaßen Auge und Hand an Mustern geübt, sich an die Gegenstände
der Natur wendete, mit Treue und Fleiß ihre Gestalten, ihre Farben
auf das genaueste nachahmte, sich gewissenhaft niemals von ihr entfernte,
jedes Gemälde, das er zu fertigen hätte, wieder in ihrer Gegenwart
anfinge und vollendete, ein solcher würde immer ein schätzenswerter
Künstler sein: denn es könnte ihm nicht fehlen, daß er
in einem unglaublichen Grade wahr würde, daß seine Arbeiten
sicher, kräftig und reich sein müßten. Wenn man diese Bedingungen
genau überlegt, so sieht man leicht, daß eine zwar fähige,
aber beschränkte Natur angenehme, aber beschränkte Gegenstände
auf diese Weise behandeln könne.
Solche Gegenstände müssen leicht und immer
zu haben sein; sie müssen bequem gesehen und ruhig nachgebildet werden
können; das Gemüt, das sich mit einer solchen Arbeit beschäftigt,
muß still, in sich gekehrt und in einem mäßigen Genuß
genügsam sein.
Diese Art der Nachbildung würde also bei sogenannten
toten oder stilliegenden Gegenständen von ruhigen, treuen, eingeschränkten
Menschen in Ausübung gebracht werden. Sie schließt ihrer Natur
nach eine hohe Vollkommenheit nicht aus.
Manier
Allein gewöhnlich wird dem Menschen eine solche
Art zu verfahren zu ängstlich oder nicht hinreichend. Er sieht eine
Übereinstimmung vieler Gegenstände, die er nur in ein Bild bringen
kann, indem er das Einzelne aufopfert; es verdrießt ihn, der Natur
ihre Buchstaben im Zeichnen nur gleichsam nachzubuchstabieren; er erfindet
sich selbst eine Weise, macht sich selbst eine Sprache, um das, was er
mit der Seele ergriffen, wieder nach seiner Art auszudrücken, einem
Gegenstande, den er öfters wiederholt hat, eine eigne bezeichnende
Form zu geben, ohne, wenn er ihn wiederholt, die Natur selbst vor sich
zu haben, noch auch sich geradezu ihrer ganz lebhaft zu erinnern.
Nun wird es eine Sprache, in welcher sich der Geist
des Sprechenden unmittelbar ausdrückt und bezeichnet. Und wie die
Meinungen über sittliche Gegenstände sich in der Seele eines
jeden, der selbst denkt, anders reihen und gestalten, so wird auch jeder
Künstler dieser Art die Welt anders sehen, ergreifen und nachbilden,
er wird ihre Erscheinungen bedächtiger oder leichter fassen, er wird
sie gesetzter oder flüchtiger wieder hervorbringen.
Wir sehen, daß diese Art der Nachahmung am
geschicktesten bei Gegenständen angewendet wird, welche in einem großen
Ganzen viele kleine subordinierte Gegenstände enthalten. Diese letztem
müssen aufgeopfert werden, wenn der allgemeine Ausdruck des großen
Gegenstandes erreicht werden soll, wie z. E. bei Landschaften der Fall
ist, wo man ganz die Absicht verfehlen würde, wenn man sich ängstlich
beim Einzelnen aufhalten und den Begriff des Ganzen nicht vielmehr festhalten
wollte.
Stil
Gelangt die Kunst durch Nachahmung der Natur, durch
Bemühung, sich eine allgemeine Sprache zu machen, durch genaues und
tiefes Studium der Gegenstände selbst endlich dahin, daß sie
die Eigenschaften der Dinge und die Art, wie sie bestehen, genau und immer
genauer kennenlernt, daß sie die Reihe der Gestalten übersieht
und die verschiedenen charakteristischen Formen nebeneinanderzustellen
und nachzuahmen weiß: dann wird der Stil der höchste Grad, wohin
sie gelangen kann, der Grad, wo sie sich den höchsten menschlichen
Bemühungen gleichstellen darf.
Wie die einfache Nachahmung auf dem ruhigen Dasein
und einer liebevollen Gegenwart beruht, die Manier eine Erscheinung mit
einem leichten fähigen Gemüt ergreift, so ruht der Stil auf den
tiefsten Grundfesten der Erkenntnis, auf dem Wesen der Dinge, insofern
uns erlaubt ist, es in sichtbaren und greiflichen Gestalten zu erkennen.
Die Ausführung des oben Gesagten würde
ganze Bände einnehmen; man kann auch schon manches darüber in
Büchern finden; der reine Begriff aber ist allein an der Natur und
den Kunstwerken zu studieren. Wir fügen noch einige Betrachtungen
hinzu und werden, sooft von bildender Kunst die Rede ist, Gelegenheit haben,
uns dieser Blätter zu erinnern.
Es läßt sich leicht einsehen, daß
diese drei hier voneinander geteilten Arten, Kunstwerke hervorzubringen,
genau miteinander verwandt sind und daß eine in die andere sich zart
verlaufen kann.
Die einfache Nachahmung leicht faßlicher Gegenstände
(wir wollen hier zum Beispiel Blumen und Früchte nehmen) kann schon
auf einen hohen Grad gebracht werden. Es ist natürlich, daß
einer, der Rosen nachbildet, bald die schönsten und frischesten Rosen
kennen und unterscheiden und unter tausenden, die ihm der Sommer anbietet,
heraussuchen werde. Also tritt hier schon die Wahl ein, ohne daß
sich der Künstler einen allgemeinen bestimmten Begriff von der Schönheit
der Rose gemacht hätte. Er hat mit faßlichen Formen zu tun;
alles kommt auf die mannigfaltige Bestimmung und die Farbe der Oberfläche
an. Die pelzige Pfirsche, die fein bestaubte Pflaume, den glatten Apfel,
die glänzende Kirsche, die blendende Rose, die mannigfaltigen Nelken,
die bunten Tulpen, alle wird er nach Wunsch im höchsten Grade der
Vollkommenheit ihrer Blüte und Reife in seinem stillen Arbeitszimmer
vor sich haben; er wird ihnen die günstigste Beleuchtung geben; sein
Auge wird sich an die Harmonie der glänzenden Farben, gleichsam spielend,
gewöhnen; er wird alle Jahre dieselben Gegenstände zu erneuern
wieder imstande sein und durch eine ruhige nachahmende Betrachtung des
simpeln Daseins die Eigenschaften dieser Gegenstände ohne mühsame
Abstraktion erkennen und fassen: und so werden die Wunderwerke eines Huysum,
einer Rachel Ruysch entstehen, welche Künstler sich gleichsam über
das Mögliche hinübergearbeitet haben. Es ist offenbar, daß
ein solcher Künstler nur desto größer und entschiedener
werden muß, wenn er zu seinem Talente noch ein unterrichteter Botaniker
ist; wenn er von der Wurzel an den Einfluß der verschiedenen Teile
auf das Gedeihen und den Wachstum der Pflanze, ihre Bestimmung und wechselseitigen
Wirkungen erkennt, wenn er die sukzessive Entwicklung der Blätter,
Blumen, Befruchtung, Frucht und des neuen Keimes einsiehet und überdenkt.
Er wird als dann nicht bloß durch die Wahl aus den Erscheinungen
seinen Geschmack zeigen, sondern er wird uns auch durch eine richtige Darstellung
der Eigenschaften zugleich in Verwunderung setzen und belehren. In diesem
Sinne würde man sagen können, er habe sich einen Stil gebildet,
da man von der andern Seite leichteinsehen kann, wie ein solcher Meister,
wenn er es nicht gar so genau nähme, wenn er nur das Auffallende,
Blendende leicht auszudrücken beflissen wäre, gar bald in die
Manier übergehen würde.
Die einfache Nachahmung arbeitet also gleichsam
im Vorhofe des Stils. Je treuer, sorgfältiger, reiner sie zu Werke
gehet, je ruhiger sie das, was sie erblickt, empfindet, je gelassener sie
es nachahmt, je mehr sie sich dabei zu denken gewöhnt, das heißt,
je mehr sie das Ähnliche zu vergleichen, das Unähnliche voneinander
abzusondern und einzelne Gegenstände unter allgemeine Begriffe zu
ordnen lernet, desto würdiger wird sie sich machen, die Schwelle des
Heiligtums selbst zu betreten.
Wenn wir nun ferner die Manier betrachten, so sehen
wir, daß sie im höchsten Sinne und in der reinsten Bedeutung
des Worts ein Mittel zwischen der einfachen Nachahmung und dem Stil sein
könne. Je mehr sie bei ihrer leichteren Methode sich der treuen Nachahmung
nähert, je eifriger sie von der andern Seite das Charakteristische
der Gegenstände zu ergreifen und faßlich auszudrücken sucht,
je mehr sie beides durch eine meine, lebhafte, tätige Individualität
verbindet, desto höher, größer und respektabler wird sie
werden. Unterläßt ein solcher Künstler, sich an die Natur
zu halten und an die Natur zu denken, so wird er sich immer mehr von der
Grundfeste der Kunst entfernen, seine Manier wird immer leerer und unbedeutender
werden, je weiter sie sich von der einfachen Nachahmung und von dem Stil
entfernt.
Wir brauchen hier nicht zu wiederholen, daß
wir das Wort Manier in einem hohen und respektablen Sinne nehmen, daß
also die Künstler, deren Arbeiten nach unsrer Meinung in den Kreis
der Manier fallen, sich über uns nicht zu beschweren haben. Es ist
uns bloß angelegen, das Wort Stil in den höchsten Ehren zu halten,
damit uns ein Ausdruck übrigbleibe, um den höchsten Grad zu bezeichnen,
welchen die Kunst je erreicht hat und je erreichen kann. Diesen Grad auch
nur erkennen ist schon eine große Glückseligkeit und davon sich
mit Verständigen unterhalten ein edles Vergnügen, das wir uns
in der Folge zu verschaffen manche Gelegenheit finden werden.